Review

Koleka Putuma: Collective Amnesia

// Black HERstory Month

// Im Februar 2020 habe ich eine Reihe an Empfehlungen für Bücher von weiblichen bzw. female presenting Schwarzen, afrikanischen Autor*innen auf Instagram hochgeladen. Im deutschsprachigen Raum sind Schwarze Autor*innen ohnehin unterrepräsentiert, von Schwarzen Autor*innen Afrikas, die nicht in der europäischen oder amerikanischen Diaspora sozialisiert wurden, hört man so gut wie gar nichts. Hier die Rezension zu dem dritten Buch, das ich im Rahmen des Black History Month empfohlen habe. Ich nehme in diesen Rezensionen grundsätzlich Bezug auf die englischen Originalversionen (in manchen Fällen auch Übersetzungen) der Romane. Auf deutsche Übersetzungen weise ich hin.

3. Koleka Putuma: Collective Amnesia

Ich empfehle Gedichtbände sehr selten, denn es ist selten so, dass mich alle Gedichte einer Reihe tief bewegen, dass sie mein Leben verändern, mich erschüttern, mich im wahrsten Sinne des Wortes ergreifen. Bei dem erst kürzlich über einen Freund entdeckte*n Danez Smith ist das beispielsweise so, und auf jeden Fall bei Koleka Putuma.

Putuma ist in Südafrika eine sehr bekannte Stimme, die 2016 den PEN Student Writing Prize South Africa mit ihrem Gedicht “Water” gewann, das auch in Collective Amnesia, das 2017 im Original erschien, enthalten ist.

Die Themen, die Putuma verhandelt, sind u.a. Blackness, Queerness, Womxnhood (mit x): Das Überleben in einer Welt, die sich mit aller Macht gegen das Überleben bestimmter Personen ausrichtet. In “Water” etwa heißt es:

[…]

We have come to stir the other world here
We have come to cleanse ourselves here
We have come to connect our living to the dead here
Our respect for water is what you have termed fear
The audacity to trade and murder us over water
Then mock us for being scared of it
The audacity to arrive by water and invade us
If this land was really yours, then resurrect the bones of the colonisers and use them as a compass
Then quit using black bodies as tour guides or the site for your authentic African experience
Are we not tired of dancing for you?
Gyrating and singing on cue
Are we not tired of gathering as a mass of blackness?
To atone for just being here
To beg God to save us from a war we never started
To March for a cause caused by the intolerance for our existence
Raise our hands so we don’t get shot
Raise our hands in church to pray for protection

[…]

Aber in Collective Amnesia geht auch um die kollektive Erinnerung und das kollektive Vergessen; um das, was auch wir als People of Color vergessen, verändern und schönreden. Das für mich wichtigste und bewegendste Gedicht ist “1994: A LOVE POEM” (1994 ist das Jahr, in dem Nelson Mandela zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten Südafrikas wurde und markiert das tatsächliche Ende der Apartheid, auch wenn sie 1991 schon formell abgeschafft wurde).

Hier heißt es unter anderem:

I want someone who is going to look at me
and love me
the way that white people look at
and love
Mandela.

Someone who is going to hold onto my memory
the way that white people hold onto Mandela’s legacy.

[…]

Denn Nelson Mandela, ähnlich wie Martin Luther King Jr., ist das, was weiße Personen denken, wenn sie an Civil Rights Movement, an die Emanzipation von Schwarzen Personen (und People of Color) denken; ein der Realität entrissener Mensch, ein Symbol; ein Symbol für das, was weiße Personen für sich als korrekten, richtigen Widerstand definiert haben. Dieser Widerstand ist gewaltlos, passiv und, was entscheidend ist, er verändert nur sehr langsam wenn überhaupt den Status Quo. Wenn dann darauf hingewiesen wird, endet das dann oft im reverse racism-Argument; es solle ja schließlich auch nicht von weißen Menschen die Rede sein und überhaupt, man* sehe ja keine Farbe. Im Hinblick auf ebendiese false equivalency sind die letzten beiden Zeilen Putumas hier besonders stark:

And this is one of the many residues of slavery:
being loved like Mandela.

Collective Amnesia ist als Kollektive Amnesie jüngst zweisprachig erschienen im Verlag Das Wunderhorn (ins Deutsche übersetzt und mit einem Nachwort von Paul-Henri Campbell).

 

       Bild von Marie Minkov (@mmariemkv auf Instagram)