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Literatur Betreiben

// Episode 17: Literatur Betreiben

//DiesDas & The Other ist ein Podcastprojekt über all die Dinge, die mir in den Sinn kommen, die mich kurz- und längerfristig interessieren.

 

Diese Episode beschäftigt sich, ausgehend von dem jüngst stattgefundenen PROSANOVA 2023, mit dem Zustand des (Gegen-)literaturbetriebs und stellt sich die Frage: Was wollen wir als schreibende Personen eigentlich, wenn wir von Änderungen im Literaturbetrieb sprechen? Und sind wir in unseren Forderungen ehrlich mit uns selbst — und mit unserem Publikum?

Cover Design und Schnitt von Martin J. (@din0b0y666)

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Dies ist das erste Mal, dass ich beschlossen habe, das Skript mitzuveröffentlichen. Viel Spaß beim Lesen!

SKRIPT: Literatur Betreiben

Lange ist es her, dass ich zuletzt einen Podcast aufgenommen habe. Das vergangene Jahr war turbulent, viel gab es zu tun, viel zu überwinden auch, viel an innerem und äußerem Wachstum für mich.

Der letzte Monat war besonders krass, viel, viel, viel Arbeit, Bürger*innenbühnenstück JUDEN JUDEN JUDEN über jüdisches Leben in Hamburg mit darstellendem Strang, Lesungen, und die letzten drei Tage Prosanova.

Ich hatte vor, den Podcast wieder ins Leben zu rufen, endlich, nach nun fast einem Jahr seit der letzten Folge und im letzten Jahr quasi nur der einen Folge, und zu diesem Zweck ein mobiles Aufnahmegerät im Gepäck. Viele Aufnahmen habe ich im Endeffekt nicht gemacht, dazu später mehr.

Erst einmal und mit aller nötigen Emphase: es war ein sehr, sehr schönes Festival, viele fellow BIPOC und Menschen, die ich lange nicht gesehen habe, Worte, die mich sehr berührt haben. Im Vorfeld wurden Spenden für die Finanzierung gesammelt, ich konnte allerdings nicht spenden. Dafür war ich viel zu sehr selbst im Minus wegen der Ausrichtung eines eigenen Festivals, WE WERE ALWAYS HERE, Anfang des Monats. Dieses sollte eigentlich kollektiv veranstaltet werden, im Endeffekt aber war das nicht möglich, kam das Leben den Mitgliedern des Kollektivs dazwischen, und meines kam auch mir dazwischen, aber die Einladungen standen schon und am Ende war es dann doch eine sehr cute Angelegenheit, nur eben finanziell katastrophal für mich und nichts, das sich so schnell wiederholen ließe. Ich beobachtete also die wiederholten Bitten des Prosanova um Geld in der Öffentlichkeit mit gemischten Gefühlen. Einerseits fand ich die Transparenz und das öffentliche Bitten um Gelder gut, andererseits stellte sich mir eine viel grundsätzlichere Frage, eine, die ich auch an meine eigene Veranstaltung, die ja als Fokus den Widerstand marginalisierter Positionen durch bloße Existenz in der Geschichte, das Offenlegen einer langen Tradition, die unsichtbar gemacht worden ist, zum Fokus hatte: Für wen wird was wie finanziert, und wer sind eigentlich die Menschen, die davon profitieren?

Gleichzeitig waren natürlich auch andernorts Debatten über den Zustand des Betriebes entbrannt, insbesondere über Wettbewerb und Konkurrenz in diesem literarischen Betrieb im deutschsprachigen Raum. An solchen Debatten nahm und nehme ich teilweise selbst teil, spätestens, seit ich mit den fünf besten Personen vor drei Jahren selbst das Prosanova ausgerichtet habe.

In der letzten Zeit habe ich mich wieder mehr mit Literaturszene und -betrieb auseinandergesetzt, und mit dem Gegenliteraturbetrieb, damit, was die Rolle einer Autor*innenschaft sein kann, die nicht marktkonform sein möchte – und es insgeheim vielleicht doch will.

Ich beobachte verschiedene Trends, möchte aber ganz grundsätzlich beginnen, und vielleicht etwas konfrontativ, doch alles, was ich hier sage, geschieht immer in Liebe:

Es ist zu kurz gedacht, wenn wir aus schreibender Perspektive mit unserer Kritik dort ansetzen, wo schon Privilegien und Ausgrenzungsmechanismen dazu geführt haben, dass manche teilnehmen können während es andere nicht können. Eine konsequente Kritik des Konkurrenzdenkens durch Wettbewerb beginnt damit sich zu fragen, wer an Institutionen Anschluss erhält, an Verlagen und Schreibschulen zum Beispiel, und aus welchen Gründen.

Wenn wir Kunstformen wie Sportarten betrachten, so ist das literarische Schreiben immer schon Einzelsport gewesen, vielleicht am ehesten mit Tennis zu vergleichen – und das sage ich nicht NUR deswegen, weil ich gerade Break Point auf Netflix schaue, sondern auch weil es metaphorisch gut passt: Es gibt gelegentliche Doppel, aber eigentlich ist mensch Einzelkämpfer*in. Wir stehen da als Autor*innen mit unserem Namen und unserem Bildnis, und auf den Büchern stehen unsere Namen, und so sind unweigerlich diese Bücher mit unseren Namen verknüpft. Wir sprechen von unseren Lieblingsautor*innen und zeigen auf Vorschauen Porträts, auf den sozialen Medien zur Bewerbung von Veranstaltungen Fotos von Menschen statt Büchern – auch wegen des Algorithmus.

Ich hätte diese Praxis bei Veröffentlichung meines Debüts gerne ganz ausgehebelt, aber das war nicht möglich, auch wenn vieles andere möglich war und ich viele Freiheiten habe und meinen Verlag und meinen Lektor sowie meinen Verleger extrem schätze. Meinen Namen musste ich an bestimmten Stellen doch offenlegen, und für Veranstaltungen wird mit meinem Foto geworben.

Und nun bin ich eben in einem Halbzustand gefangen. Einerseits muss ich mehr werben, wie meine cooleren literature friends, und das Buch an die Menschen bringen, damit ich in Zukunft noch viel mehr schreiben kann. Andererseits gehört der Text doch in dem Moment, in dem er in der Welt ist, nicht mehr wirklich mir, und ich will, dass das Schreiben, dass mein Schreiben, für sich stehen kann, ohne dass meine Person im Fokus stehen muss, mein Aussehen (was für Verlage tatsächlich eine Rolle spielt), mein Alter, mein diverser Background.

Ich brauche keine Preise und keinen Wettbewerb, aber ich brauche auch nicht den Anspruch einer politisch-widerständigen Haltung, die doch nicht in Handlung übertragen werden kann. Was ich damit meine ist, dass die derzeitige politische Situation, die derzeitigen Schieflagen überall auf der Welt nicht durch Schreiben aus der Welt zu schaffen sind, vor allem nicht durch literarisches Schreiben. Wenn dann sind wir dem Bericht oder dem Essay verpflichtet in Zeiten wie diesen. Und doch erfüllt die Literatur die Aufgabe, durch Geschichten auch diese Zeit zu dokumentieren, umzudeuten, neu zu denken. Sie ist politisch, und deswegen sind vielfältige Perspektiven so wichtig, die die tatsächliche Bandbreite der Gesellschaft abbilden.

Trotzdem nervt es mich, wenn Menschen meinen, Repräsentation würde die Sache schon ins Lot bringen und dass deswegen Repräsentation immer wichtiger sei als Form. Das glaube ich einfach nicht, und diese Haltung, das habe ich auch schon oft angebracht, ist letzten Endes anti-intellektuell, und eine anti-intellektuelle Haltung hat genauso zu Genoziden in der Menschheitsgeschichte geführt wie eine, die sich gegen Menschen ohne Bildung, ohne jegliches Kapital richtet. An bloßer Repräsentation ist auch auszusetzen, dass es einen Personenkult, einen Celebrity-Kult begünstigt, dass es dann wirklich eher darum geht, die eigene Sprache mehr zu policen als das eigene Verhalten. Und unsere Schreib-Celebrities, unsere Repräsentations-Celebrities, verhelfen in den wenigsten Fällen anderen zu mehr Sichtbarkeit, und sind naturgemäß wenige. Es gibt kein großes Interesse daran, zu viele andere in denselben „Stand“ zu haben, und letzten Endes zeigt sich das auch in der Verehrung einiger weniger Größen und Beispiele widerständigen Schreibens in der Geschichte. Und selbst unsere besten kaufen für hunderte Euro Tickets für amerikanische Popgrößen, aber das ist eine andere Geschichte. Schließlich interessiert mich eben auch, wo Repräsentation stattfindet. Wenn die Autor*innen divers sind, die Personen in Verlagen, die das Sagen haben, aber nicht, ist das dann Diversity oder nicht doch Tokenism?

Was hat das jetzt alles mit dem Prosanova zu tun? Was mir gleich aufgefallen ist, noch im Vorfeld des Festivals, ist dass ich den Großteil des Line-ups kannte. Das bedeutete für mich, in eine mir bereits bekannte Bubble zu fahren. Es gab keinen Raum für literarische Neuentdeckungen, die es sicherlich auch gegeben hätte, weil ich so viele Menschen kannte und deswegen diese Menschen hören und unterstützen wollte. Und ich hatte sehr großen Spaß daran, Freund*innen und alte Bekannte beim Lesen zu sehen und zu hören. Gleichzeitig gab es eine starke institutionelle Anbindung, die der angeblichen Unabhängigkeit des Festivals und der dort vorgestellten Literatur widersprach – die gab es auch, als wir das Festival organisierten schon, wenn auch vielleicht mit etwas anderer Ausrichtung. Dieselben Kritikpunkte kann ich übrigens natürlich auch an mein eigenes kleines Festival richten. Kurzum, eigentlich waren beide Veranstaltungen vor allem durch das geprägt, was ohnehin schon bekannt war, durch Menschen, die bereits eine Plattform hatten bzw. stellten diejenigen mit Plattform in den Fokus, und gleichsam waren beide Veranstaltungen zum Beispiel nicht wirklich disability friendly, und haben auf gewisse Weise selbst auch Ausschlussmechanismen verstärkt. Die queeren Personen und Personen of Color zum Beispiel, die es gab, waren größtenteils nicht zu dem Zeitpunkt des Festivals von Klassismus betroffen, und selbst wenn ich die Haltung von vielen politisch als wunderbar radikal einstufen würde, spiegelt sich das nicht immer in ihrem Schreiben wider. Und wenn sich das dort nicht widerspiegelt, dann ist die Frage, warum. Eigene oder auferlegte Anpassung an Marktmechanismen sind die Antworten, die mir spontan einfallen. Und auch das trifft genauso auf mich zu.

Allein durch die Geografie des Raumes, durch Bühne und Publikum, wird eine Ungleichheit hergestellt, durch das Gegenüberstellen von bald debüttierenden Autor*innen mit bereits debüttierten, durch das Highlighten bestimmter Namen aus bisher veröffentlichten Ausgaben der BELLA triste. Wir stärken also die Namen marginalisierter Personen, aber in Wirklichkeit die Namen marginalisierter Personen, die wie bereits angemerkt ohnehin schon Zugang haben, stärken die Bubble und eine Ästhetik, die sich nicht traut, sich ganz von den Vorbildern deutschen Kanons zu lösen, wir bleiben in Reform statt Revolution verharren.

Wir sollten denke ich einfach ehrlicher mit uns selbst sein. Was ist es, was wir wirklich wollen? Wollen wir eigentlich den Betrieb wirklich verändern – dann müsste man dort ansetzen, wo die Entscheidungsträger*innen, diejenigen, die also entscheiden, was wann veröffentlicht, gefördert, besprochen wird, sich befinden – oder wollen wir in Wirklichkeit selbst Zugang zum Betrieb, also wie gesagt eine Reform statt einer Revolution?

Zu was führen Debatten über den Zustand des Betriebes? Ist die Debatte selbst nicht auch bereits ein Ausschluss derer, die gar nicht für Wettbewerbe infrage kommen, weil sie schon an Hürden scheitern, die dem vorangestellt sind?

Ich habe WE WERE ALWAYS HERE und auch das Prosanova sehr genossen, viel gelernt und reflektiert, bin der künstlerischen Leitung und dem gesamten Team des Prosanovas heuer extrem dankbar – Shout-Out vor allem an Leni, Melek, Hiyam und Béla an der Stelle -und stolz auch auf mich und dankbar, auch wenn es dann keine kollektive Arbeit sein konnte, dem Kollektiv Lieblingminne gegenüber, dass auch das Festival Anfang Juni so gut lief (Shout-Out hier an Martin und Christian, Aidan und Arpana, und natürlich an das Lieblingminne Kollektiv). Aber ich wünsche mir mehr Offenheit, mehr Ehrlichkeit, auch von mir selbst. Und deswegen möchte ich keine Aufnahmen veröffentlichen vom Festival, die halbgar etwas infrage stellen, während sie sich selbst durch ihre Existenz widersprechen.

Denn wenn ich ehrlich bin: Ich will vor allem weiterschreiben und davon leben können. Ich will deswegen, dass ihr alle mein Buch kauft (Messer, Zungen, erschienen bei Matthes & Seitz), und will trotzdem über Widerständigkeit und alternative Systeme und Strukturen weiterhin nachdenken, im Doppel und im Solo. Ich will auch, dass ihr mich einladet auf Festivals und Lesungen, will, dass ich auch so cocky sein darf wie meine männlichen Kollegen und manchmal über Ästhetik sprechen kann, will meine Sprache so belassen, wie sie ist, weil ich nicht glaube, dass einfache Sprache immer der beste Weg ist, weil ich denke, dass Komplexität nicht immer der Feind ist oder sein muss.

Ich will nicht, dass einzelne Personen auf Veranstaltungen mehr Geld bekommen als andere, weil sie bekannter sind, und möchte das künftig auch nicht mehr mittragen. Ich will auch trotzdem, dass wir uns mehr lösen können vom Markt und auch infrage stellen, wie viele BIPOC und Personen ohne Abitur eigentlich im Literaturbetrieb Lektor*innen oder Verleger*innen sind, dass wir uns bewusster werden, dass wir natürlich auch uns selbst und unsere Haltung öffentlich zum Verkauf anbieten und vorhandene Strukturen stärken. Gleichzeitig will ich natürlich auch Teil einer literarischen Tradition sein, und das wollen selbst die radikalsten unter uns. Nicht umsonst zitieren wir – auch wenn wir lernen müssen, unseren Horizont zu erweitern und mehr und anders zu zitieren, anstatt zum Beispiel in BIPOC-Kreisen immer wieder Lorde und hooks und May Ayim und Semra Ertan, auch wenn sie auch weiterhin zitiert werden sollen und müssen. Nicht umsonst veröffentlichen wir in Verlagen statt im Self-Publishing. Nicht umsonst war ein Schwerpunkt des Prosanova auch die Würdigung teils sehr bekannter literarischer Stimmen marginalisierter verstorbener Autor*innen wie Else Lasker-Schüler.

Was wir aus marginalisierten Positionen derzeit in der Literaturszene entwickeln, ist ein Gegenkanon, ist ein Gegenbetrieb, aber doch auch ein Kanon und ein Betrieb. Und das eine mit dem anderen auszutauschen, wenn das überhaupt klappen sollte, wird nicht wirklich etwas ändern, wenn wir nicht grundlegend die Strukturen hinterfragen oder ehrlich mit uns sind und uns überlegen, warum wir die Strukturen beibehalten wollen.

Wollen wir wirklich keine Wettbewerbe, keine Stipendien mehr, oder wollen wir nur, dass sie anders verteilt werden? Dass sie uns gegeben werden, um unser eigenes Schreiben zu legitimieren? Wer kann sich eine großzügige Umverteilung eigentlich überhaupt leisten? Und wer ist vielleicht auch besonders angewiesen auf die Anerkennung durch etablierte Institutionen, und hat keine Option, anders vorzugehen?

Ich glaube daran, dass die derzeitigen Diskussionen viel Potential haben. Aber es ist wichtig, gerade auch vielstimmige, widerständige Veranstaltungen in allen Facetten zu beleuchten, damit wir uns in unserem Bemühen um Veränderung nicht ohne es zu wollen die Möglichkeit, etwas zu verändern, verbauen. Dazu gehört es für mich eine tatsächliche Pluralität des Ausdrucks zu erlauben ohne so zu tun, als reichte ein wichtiger Inhalt, um über Form hinwegzusehen, oder als sei eine besonders durchdachte Form von größerer Relevanz als die Lebensrealitäten der eigentlichen Mehrheit der Marginalisierten und nicht der dominierenden Minderheit der Machthabenden abzubilden.

Und wir dürfen bei all dem nicht vergessen, dass das, was wesentlich ist im Moment, nicht in der von der Realität losgelösten Literaturszene verankert ist oder sein kann. Wir müssen schreiben und dokumentieren und utopisch und dystopisch denken, aber dann müssen wir auch aktiv sein, uns wirklich gegen die Anfänge eines erstarkenden Faschismus wehren und gegen menschenverachtende Politik, müssen wir uns trauen, laut und deutlich zu werden, in unserem Schreiben, in unseren Worten.